Sascha @ YOLO andersWO
Einer dieser Momente - Krasnojarsk
Ich bin schon ein paar Tage in Krasnojarsk. Die Stadt gefällt mir einfach. Die Atmosphäre ist ruhig und chillig, zumindest wenn man im richtigen Stadtteil ist und die Natur des Jennissei, die Promenaden am Ufer oder die Parks, Sportparks und Kaffees genießt.
Ich habe auch das Gefühl, dass nur wenige Touristen hier sind - Wenn dann russische Touristen. Auch das gefällt mir irgendwie. Später in Irkutsk werde ich mit vielen anderen ausländischen Touristen sprechen, die nahezu alle Krasnojarsk ausgelassen haben und entweder einen Stop in Omsk oder Novosibirsk eingelegt haben oder (wie die meisten) von Moskau nach Irkutsk durchgefahren sind.
Ein großer Fehler aus meiner Sicht.
Hier findet Russland statt - Nicht in der touristischen Zentren. Auch wenn Krasnojarsk eine Großstadt ist. Das Leben ist aber sicher nicht auf den Tourismus ausgelegt. Und das gefällt mir. Man lebt hier eben so und das wollte ich ja sehen.
Berühmt ist Krasnojarsk aber eigentlich nicht für diese Atmosphäre, die hier auf mich einwirkt, sondern der nahegelegene Stolby Nationalpark, der nur etwa 8 Km außerhalb der Stadt liegt. Hier gibt es echte sibirische Wildnis, Bären, Schlangen und kilometerlange Wanderrouten. Wobei Wanderrouten in Russland immer ein wenig übertrieben ist, da es in Russland mit Ausschilderung jetzt nicht wirklich so weit hergeholt ist.
Der Stolbypark ist einer meiner großen Highlights für Russland. Hier wollte ich hin. Die großen Weiten und Wildnis Sibiriens sehen. Das Problem ist nur.....Wenn man mit Erwartungen an einen Ort fährt, wird man ja meist enttäuscht...hoffentlich nicht, denke ich mir. Trotzdem laufe ich am nächsten Tag los. Ich suche im Internet nach einer passenden Busverbindung zum Park. Durch Anastasia (siehe Blog Motherfucking Lady) weiß ich zumindest wie der Eingang des Parks aussieht, was gar nicht so einfach ist ..... Ausschilderung gleich Fehlanzeige.
Ich finden einen Blog …Bus 50 von der Oper in Krasnojarks zur Haltestelle Enisej. Alles klar. Auf zur Oper…..45 Minuten laufen. Krasnojarsk ist nunmal nicht ganz so klein. Das Stadtzentrum zieht sich über gut 5 Kilometer, sodass man gerade zum Bahnhof doch recht weit läuft. Das Ende der Uferpromenade zum Beispiel habe ich nie erreicht…..nach 2,5 Stunden laufen.
Angekommen. Den Bus bekomme ich. Ich setze mich auf einen freien Platz mit kleinem Sitzkissen....oh wie toll denke ich, während mich im gleichen Moment der Buskassierer freundlich aber bestimmt von SEINEM (klar durch das Sitzkissen) reservierten Platz scheucht....Sorry....Angliskye (englisch)....grins.....
Ich steige an der Haltestelle Enisej aus…..hier???? wirklich???? Von Natur noch nicht wirklich viel zu sehen. Ich bin umgeben von Fabrikanlagen, ein paar russischen Trinkern, die es doch recht häufig gibt und bin irgendwie falsch. Auch google maps gibt keinen richtigen Aufschluss, da der Eingang zum Park nicht verzeichnet ist. Ich weiß durch Anastasia ja, wie der Eingang aussieht. Ich studiere andere Websites mit Karten und Informationen, die alle darauf hindeuten, dass der Park von hier etwa 8 Km entfernt ist. ….Mist! Wieder verfahren! ...das russische Wort für Mist hat mir Anastasia nicht beigebracht.....sonst würde ich es jetzt genauso laut aufschreien wie sie.....Okay, wann kommt der nächste Bus…zum Glück fahren die Busse hier im 20 Miunten Takt. Ich steige ein und 15 Minuten später kommt mir alles doch etwas bekannter vor und ich bin richtig. Erkannt habe ich das vor allem an der »Spacetoilet«

die Anastasia hier am Vortag schon eifrig beworben hat. Falls ihr also den Eingang zum Stolby Park sucht und ihre diese Toilette seht….ihr seid richtig. Das ist übrigens auch die letzte Toilette für 8 Km.
Genau genommen ist dies aber noch nicht der richtige Eingang zum Nationalpark. Das ist nur das Vorspiel. Das Schutzgebiet fängt erst etwa 7 Km bergauf (und zwar nur bergauf) an.
Durch den Umweg mit dem Bus bin ich ein wenig spät dran. Es ist schon um 15 Uhr.
Schaffe ich das?
Ich will zum Eingang (7Km) und dann natürlich noch weiter. Zu einem Aussichtspunkt an dem hunderte Kilometer nur Wildnis zu sehen sind. Genauer gesagt auf einen Felsen. Diese machen den Stolby Park nämlich aus – Stolby heißt Felsen.
Also los. Der Park ist wunderschön. Nicht zu verachten ist jedoch, dass es hier tatsächlich Bären gibt und der Park auch öfters zeitweise gschlossen wird, wenn es zu Begegnungen von Bären und Wanderern kommt, da die Bären oft Junge haben.

Und das kann gefährlich werden. So sagen mir die Russen. Ich laufe also schon ein wenig angespannt durch den Park und schaue mich im ein Meter hohen Gras links und rechts des öfteren ein mal um.
Was übrigens gegen Bären am Besten hilft – Laut sein, habe ich mir sagen lassen. Dann kommen die Bären gar nicht erst auf die Idee in die Nähe zu kommen.
Leider gibt es im Stolby Park auch ein massives Zeckenproblem, gepaart mit entsprechender FSME-Häufigkeit. Anastasia und auch andere Russen selbst wollen die Pfade lieber nicht verlassen und warnen auch mich davor ins hohe Gras zu gehen. Zum Glück habe ich mich im Vorfeld impfen lassen. Ein Muss im Stolby.

Die ersten Kilometer sind geschafft. Es geht vorbei an kleinen plätschernden Bächen,
vielen Birken und hohen Gräsern. Der Weg wechselt sich ab.

Erst Straße, dann Schotterweg, dann Holzweg und dann kleiner schmaler Pfad, Vogelgezwitscher und viel Ruhe. Ich bin nahezu allein. Ab und zu kommen mir ein paar Wanderer entgegenund natürlich auch die altbekannten Streifenhörnchen, die zutraulich auf den ein oder anderen Wanderer warten, ob nicht doch etwas für sie abfällt.
Es geht bergauf…Nach gut 2,5 Stunden erreiche ich den Eingang des Stolby. Mein Aussichtspunkt ist aber noch 4 Km weiter. Na dann los. Wasser? Fehlanzeige! Alles leer.....wieder fehlt mir ein entsprechendes russisches Schimpfwort......2,5 Liter sind bei 27 Grad und stetigem Bergauf zu schnell leer. Der Trail war heute auch so nicht ganz geplant sondern wieder mal eine Spontaneingebung. Eigentlich wollte ich nur mal schauen, und ein wenig weiter in den Stolbypark hineinschauen, als es beim Spaziergang mit Anastasia möglich war. Geplant war am nächsten Tag die große Wanderung zu unternehmen. Aber jetzt ziehe Ichs durch.
Noch einmal laufe ich diesen BLYAT- BERG!!! hier nicht noch mal hoch! Ich laufe weiter!
Ausgeschilderter Weg…auch Fehlanzeige. Ich komme am Elefantenfelsen vorbei – die Hauptattraktion des Stolby, der sicher 30m in die Höhe ragt.

Jetzt bin ich an dem Ort, den in ich noch vor einem Jahr in dem ein oder anderen Youtubekanal gesehen habe. Das ist schon ein komisches Gefühl, kein Zuschauer mehr sein. Das ist es was ich wollte. Nicht mehr vor dem 65 Zoll Fernseher gespannt zuschauen, wie andere die Höhen und Tiefen einer Reise, einer romantischen Schnulze oder eines Abenteuerfilms durchleben......sondern selbst da sein. Selbst das Drehbuch schreiben. Riechen, Hören, schmecken, fühlen. Alle Sinne kann das Fernsehen eben nicht wiedergeben. Nebenbei...habe ich während der Reise nur einmal für etwa 2 Stunden im Zug eine Serie geschaut. (Wobei ich die Serie Fleabag echt lustig finde. ;-) )

Das hat mich wohl am Meisten angekotzt....abends nur Zuschauer auf dem Sofa zu sein und bei Sky und Co nach dem nächsten Film zu suchen, der einen ein wenig aus dem Alltag herauslockt. Noch vor der Reise hatte ich mir Sorgen über hunderte Stunden Zugfahrt und Langeweile am Hostelabend gemacht und mir sicher hundert Serien auf den Rechner geladen....ich habe in drei Wochen 2 Folgen Serie geschaut und bin wunderbar dabei eingeschlafen. Kein Zuschauer mehr.....
Über all das mache ich mir so meine Gedanken, während ich weiter bergauf laufe....vorbei am Elefantenfelsen.... ich will noch weiter zu meinem Aussichtspunkt zur Wildnis. Nach gesamt 12 Km steil bergauf und 3,5 Stunden Wanderung komme ich zu einer Felsformation. Das muss es sein!
Aber wie komme ich hier hoch?

Ein wenig klettern muss sein. Allein ist das sicher nicht immer die beste Idee, aber etwas anderes bleibt mir ja nicht übrig. Aufhören kommt sicher nicht in Frage. Also hoch.
Mein Kopf rattert....meine Erwartungen? Hier wollte ich hin.....
werde ich jetzt enttäuscht, frage ich mich,
während ich schweißgebadet die rutschigen Felsen hinaufklettere. In der einen Hand die Gopro – um den Moment festzuhalten - und mit der anderen am klettern.

Der Anblick haut mich um. Das ist einer dieser Momente, die man liebt und nicht so schnell wieder vergisst. Für mich waren das bisher Angkor Wat in Kambodscha früh am morgen, Bolivien mit seinen bunten Seen auf 5000Metern und die gemalte Napaliküste auf Hawaii.
Aber dieser Moment hier gehört definitiv dazu. Ich bin geflasht und glücklich. Wie immer in solchen Momenten. Deshalb reise ich und nehme die ein oder andere Unsicherheit und strapazen auf mich. Immer wieder gern. Weil es einem die Schönheit dessen was es so in der Welt gibt ganz klar macht. Die Welt ist schön und die meisten Menschen auch. Innen wie außen. Aber das sieht man nur wenn man wirklich da ist.
Es ist nun mal ein Unterschied, ob man den Weg kennt oder ihn wirklich geht.
Es hat sich gelohnt und manchmal – wenn auch selten – werden Erwartungen eben übertroffen. Insbesondere dann wenn man sich dafür ein wenig ins Zeug legt. Nebenbei für die Psychologen unter euch...wie schon Herr Prof. Csíkszentmihályi herausgefunden hat (Flow-Theorie), sind die großen Glücksmomente immer ein Teil aus großer Anstrengung ohne sich zu überfordern und dann ein wenig vom Ergebnis selbst überrascht zu werden. Dann entsteht folgender Gesichtsausdruck....

Boah...jetz hab ich echt noch n bisschen Wissenschaft in den Blog gebracht. Ich bin selbst von mir überrascht :-D.
Lange kann ich nicht bleiben. Im Dunkeln möchte ich ungern zurück. Es ist bereits kurz vor 19 Uhr. Die Sonne geht um 21 Uhr unter. Und Bären und Schlangen im Dunkeln muss ich jetz auch nich zwingend haben. Das könnte den Glücksmoment etwas schmälern. Aber bergab geht es einfach schneller. Und nachdem ich mich auf der Tafel zum Stolby Park (ganz rechts - für alle die auch mal dahin gehen) verewigt habe, schaffe ich auch kurz vor 9 den Bus zurück nach Krasnojarsk und bin erschöpft und glücklich.
Vom Gefühl her, wäre eine Zigarette danach jetz wohl angebracht, aber ich rauche ja schon lange nicht mehr.