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  • AutorenbildSascha @ YOLO andersWO

Kölschkultur - Irkutsk

Ich komme in Irkutsk an. Das Tor zum Baikalsee. Auch das ist eines der großen Ziele auf meiner Tour durch Russland. Der Baikalsee und Irkutsk. Das liegt nicht daran, dass eigentlich jeder, der mit der Transsib fährt auch hier Halt macht, Irkutsk als Paris des Ostens deklariert wird und der Baikalsee an sich als Naturwunder und tiefster und größter Süßwassersee der Erde als Naturwunder an sich in keinem Reiseführer fehlt. Nein. Es ist viel mehr eine kleine persönliche Geschichte dahinter, die ich auch immer wieder gern im Zug den Russen, die ich kennenlerne erzähle.

Denn ich war schon einmal hier. Leider konnte ich damals den Baikalsee und Irkutsk noch nicht mit eigenen Augen sehen, sondern es waren meine Eltern. Ja genau....meine Eltern vor 34 Jahren. Den Russen im Zug zeige ich dann immer den kugelrunden Bauch....und dann auf mich. Dann folgt meistens ein Strahlendes Lächeln der Russen, wenn sie verstehen, dass es nun für mich an der Zeit ist, den Baikalsee auch mal mit eigenen Augen zu sehen.


Meine Eltern sind zwar damals mit dem Flugzeug hierher gereist, aber die Geschichte habe ich auch von Ihnen gefühlte hundert mal gehört....von den Hühnern im Flugzeug ...der fehlenden Infrastruktur und dem kalten, klaren Wasser des Baikalsees, aus dem auch immer gekocht wurde. Vielleicht ist das auch ein Grund warum es mich nach Russland zieht und ich hier durch aus eine Verbindung fühle. Erst der Name und dann diese Geschichte. Mal wieder sind die Erwartungen groß...ich würde sie ja gern abstellen...aber irgendwie geht das nun mal nicht so einfach. Bisher hat mich Russland einfach zu sehr positiv überrascht.


Ich komme in Irkutsk an. Und es regnet. Das erste Mal auf meiner Reise habe ich nasskaltes Regenwetter. Der Bahnhof ist ein ganzes Stück entfernt vom Hostel und der Innenstadt. Vor dem Bahnhof fangen mich schon Taxifahrer als Touristen ab. Das war bisher in keiner Stadt so. Ich frage nach dem Fahrpreis für die 4 Kilometer....700 Rubel. WAAAAASSSS?!?! Selbst in Moskau habe ich für diese Strecke nur etwa 200-300 Rubel bezahlt. Und genau so schaue ich den Taxifahrer auch an. Ich lehne ab und er fragt mich, was ich bezahlen würde (Übrigens in recht gutem Englisch.) Man scheint hier die Touristen gewöhnt. Überrascht mich nicht, da hier nun mal das Highlight der gesamten Transsib-Strecke mit dem Baikalsee wartet und wirklich jeder Touri, sofern er nach Sibirien, direkt in die Mongolei, nach China oder Wladiwostok weiterfährt, hier vorbei kommt.

Ich sage dem Taxifahrer, dass ich maximal 300 bezahle. Und er lehnt ab. Sein Gegenangebot 500 Rubel. Immer noch fast 8 Euro. Man! Ich sage 350 Rubel als letztes Angebot und Frage ihn gleichzeitig was denn die Straßenbahn kostet, die ich in der Ferne sehen kann. Er antwortet nicht. Er lehnt ab und ich gehe Richtung Straßenbahn.....Dann kommt er mir hinterher. »350?«, »Da,« antworte ich. Und die Sache ist abgemacht. Geht doch, denke ich.


Ich habe mir ein Hotelzimmer für eine Nacht genommen. Ich brauche ab und zu meinen Raum für mich, um meine Dinge zu sortieren, Blogs zu schreiben und mal niemanden kennenzulernen. Also gibt es etwa alle 10 Tage ein Einzelzimmer. ....also bis jetzt alle 10 Tage....is das zweite Mal.....ich komme im Hotel an und der Taxifahrer sagt mir, dass das Hotel schon ein paar mal den Namen gewechselt hat. Nicht sehr vertrauenserweckend. Das Hotel liegt in einem Hinterhof, der nicht gerade einladend aussieht.

Ich habe ein großes Zimmer reserviert und der Besitzer zeigt mir ein kleines Einzelbettzimmer, das recht heruntergekommen aussieht und ich mich kaum drehen kann. So war das nicht geplant. Ich hole mir die Einzelzimmer auch, um ein wenig Kraftsport machen zu können und eben alles mal etwas zu sortieren und mich zu erholen von den Erlebnissen. Mein Wochenende von der Reise sogesehen. Ich reklamiere beim Betreiber, dass das nicht das Zimmer ist, was ich bezahlt habe. (Viele Grüße an David und Chris...ihr wisst ja was jetzt kommt.). Mir ist das in Hostels eigentlich immer recht egal, aber wenn ich eben für ein teueres Hotelzimmer bezahlt habe, will ich das auch haben. Das is nun mal sowas wie mein Wochenende. Ich bin sauer, das legt sich auch nicht, als der Hotelbetreiber sich weigert mir das gewünschte Zimmer zu geben, dass ich am Ende des Flurs entdeckt habe. Es ist leer und sieht aus wie gewünscht. Der Betreiber meint ich wäre doch allein und bräuchte das Zimmer doch nicht. Ich schlage ihm also vor, mich an Agoda zu wenden. Erst nach ziemlich viel hin und her lenkt er ein und ich habe mein Wochenende. Ein bisschen deutsch muss halt doch sein...manchmal...

Auch ein Rundgang in Irkutsk bei Regen lässt diese Stimmung nicht so ganz verfliegen. Die Karl Marx Straße ist die Prunkstraße Irkutsks und soll an das schöne Paris erinnern.

Es erinnert ein wenig daran, jedoch an ein recht vernachlässigtes osteuropäisches Paris. Ich habe das Gefühl, das Irkutsk seine besten Zeiten hinter sich hat und doch sehr auf die Touristen vor Ort ausgelegt ist. Insbesondere sehe ich auch viele Touristen und deutsche...auf die ich irgendwie keinen richtigen Bock habe. Vielleicht ist dieser Eindruck aber geprägt durch meinen Empfang hier. Ich habe die Russen so herzlich und ehrlich erlebt und jetzt will man mich zweimal am Tag über den Tisch ziehen. Das passt irgendwie nicht. Auch habe ich das Gefühl, dass die Leute nicht so nett sind. Es fühlt sich eben genau so an wie in den Touristenorten überall auf der Welt, in denen man versucht noch ein wenig Geld aus den Reisenden zu quetschen.


Gelobt wird in jedem Reiseführer der District 130, der mit tollen alten sibirischen Holzhäusern aufwarten soll....auch das ist ein Reinfall. Alte Häuschen gibt es hier schon lange nicht mehr. Es ist eine Touripromenade mit neuen renovierten Häusern. Zwar aus Holz aber Charme sieht anders aus. Ich schaue mir trotzdem noch Parks und Kirchen an. Ich folge dabei einem grünen Pfad, der durch die ganze Stadt führt und sicher 3 Stunden dauert. Aber so richtig wird das heute nix mit Irkutsk und mir.

In einer Kirche nahe des District 130 rutsche ich dann noch auf einer frisch gewischten Treppe aus. Wirklich im hohen Bogen wie im Cartoon....von der ersten Treppe rutsche ich bis ganz runter etwa 20 Stufen ohne Zwischenhalt. Nicht beim Wandern oder Klettern breche ich mir die Beine...Nein! In einer Kirche.....das sollte jetzt keine Blasphemie sein. Zwei russische Touristen helfen mir besorgt auf und erkundigen sich nach meinem Wohlbefinden. Alles okay. Die Putzfrei gegenüber auf der anderen Treppe kommentiert den Vorfall nur mit einem sehr müden und kalten Gesichtsausdruck und wendet sich desinteressiert sofort wieder ab um die andere Treppe zu wischen.

Als ich dann die Statue des Touristen auf der Karl Marx Street entdecke, die den gemeinen Backpacker aus meiner Sicht als reichlich bescheuerten Dümmling aussehen lässt, ist es irgendwo genug für mich für den Tag.

Ich hoffe morgen wird's besser. Das kann es nicht sein, das tolle Tor zum Baikal aus meinen Kindertagen, Das muss besser! Neuer Tag neues Glück.

Am nächsten Tag wechsele ich die Unterkunft und checke im Rolling Stones Hostel ein. Nur für eine Nacht....mal sehen, ob es hier besser wird. Im Zimmer angekommen telefoniert jemand und zwar in deutsch.....Oh nein! Echt jetzt?! Ich sage hallo und wir kommen ins Gespräch. Jakob kommt.....aus Köln. Woher denn sonst :-). Und er war gerade 3 Tage allein im Norden des Baikalsees Kanufahren. Er ist Arzt und etwa so alt wie ich. er brauchte Einsamkeit meint er. Mmmmh....klingt interessant. Wir gehen zusammen was essen und kommen in echt coole Gespräche. Jakob geht für die German doctors ein paar Monate auf die Philippinen um dort als Arzt zu helfen. Er ist echter Individualist und engagiert sich sehr für den Klimaschutz. Genau darüber diskutieren wir auch den halben Abend...nicht darüber, dass man schütz oder über Fakten, dass etwas getan werden muss. Sondern viel konkreter. Wie bringt man dies akute Thema in die Köpfe. Und zwar in dem Maße in dem es der Wichtigkeit des Themas angemessen ist. Aber das führt jetzt zu weit und unser beider Gedanken ergänzen sich ganz gut. Das macht echt Laune.Später erzählt mir Jakob übrigens als er mich traf, dass er dachte «hab ich da jetzt echt Bock drauf ...auf n Deutschen Backpacker aus Köln?!«, »Jetzt ja!« meint er. Gleich und gleich gesellt sich gern und ich kann das Kompliment nur zurückgeben. Jakob ist echt beeindruckend.


Wir sind übrigens im Restaurant Baikal Love, dass Jakob am Vortag entdeckt hat und so ziemlich weit und breit das günstigste Restaurant ist. Dabei ist es aber echt gut und bietet tolle russische Küche von Borscht, Soljanka, Katchaburi, Pelmeni, Blini und vieles mehr....uuuuuuuuunddd...wenn man zwei Bier bestellt, bekommt man eins gratis. :.) Nach der ein oder anderen Nutzung dieses Angebots kommt eine gereiftere und adrette Dame an unseren Tisch und spricht uns an. In Deutsch. Sie hat uns reden gehört und wollte fragen, ob wir Tipps für den Baikal haben. Wir gesellen uns mit an Ihren Tisch wo uns Ihre Tochter begrüßt, die in unserem Alter ist. Brigitte und Julia sind aus Bonn (naja fast Köln. aber das Rheinische bleibt. Wobei Julia gerade nach Berlin gezogen ist). Mutter und Tochter machen Urlaub zusammen und sind auch alles andere als auf den Mund gefallen und überzeugen durch Ihre wirklich herzliche Art. Auch sie haben das unschlagbare 2+1 Angebot des Hauses genutzt und wir beschließen auch noch etwas weiter zu ziehen. Julia arbeitet für eine recht bekannte investigative Fernsehsendung....»andauernd lerne ich Journalisten auf der Reise kennen« und verweise auf meine Bekanntschaften in Thailand und Moskau. Diesmal kennt Julia die beiden jedoch nicht. Das wäre jetzt auch wirklich zu viel gewesen.


Nachdem wir auch hier mit den Beiden über Jakobs Ansätze zum Klima gesprochen haben und Brigitte uns Ihre Flirterlebnisse in Russland ohne Sprachkenntnisse mit Stift und Zettel gezeigt hat :-DDD, fragen wir die beiden wie sie es denn als Mutter und Tochter so viele Wochen in der Transsib gemeinsam aushalten und beide Antworten synchron. »Viel Bier« und lachen herzlich.Ein interessanter aber nachvollziehbarer Ansatz.

Jakob und ich verabschieden uns von den beiden als auch die letzte Bar schließt und gehen ins Hostel und treffen Anna.....aus ......KÖLN. Sie reist morgen auf die Olkhon Insel (ein Naturparadies am Baikalsee ist -jedoch etwa 5 Stunden Autofahrt entfernt). Sie erzählt , dass bis gestern noch ein andere Kölner hier im Hostel war....Kölschkultur in Irkutsk eben.


Es ist schon spät im Hostel aber der Gruppenraum füllt sich und es bildet sich eine schöne Gruppe in der alle eingeschlossen sind. So sollen Sie sein Hostelabende. Am Tisch versammelt sind mittlerweile ein französischer Individualreisender aus Paris, eine Russin, 3 Kölner, die Hostelrezeptionistin, und ein französisches Pärchen. Er aus Paris und sie gebürtige Italienerin. Das Bier fließt und die Gespräche durchaus schon viel weiter als »wo kommst du her und wo geht die Reise hin». Es geht um das Kennenlernen des Pärchens, mögliche Touren, Rezepte (gerade die Italienischen, die ich ja so Liebe) und viele persönliche Dinge. Ich erzähle Ti Bhou - der Mann aus dem französischem Pärchen, dass ich vorab auf meiner Reise auch Nicaragua zu besuchen. Er horcht auf und sagt. »ich war schon da« Oh, wie cool...ein paar Tipps denke ich. »ich habe da einen Freund.« Er zeigt mit auf google maps auf die Karte und zeigt mir eine Insel vor der Küste Nicaraguas. »Meinem Freund gehört dort diese Insel. Er ist mein bester Freund und ein Klasse Typ. Sag einfach Bescheid wenn du da bist. Er lädt dich sicher ein!« Wir tauschen Kontaktdaten und ich bin baff. Ich weiß zwar nicht welcher Art von Beruf man nachgehen muss um sich in Nicaragua eine Insel zu leisten, aber vielleicht lasse ich es drauf ankommen. Es wäre sicher eine coole Geschichte. Der Franzose mit italienische Frau, der dem Deutschen in Sibirien eine Unterkunft auf einer Privatinsel in Nicaragua vermittelt. Klingt nach einer spannenden Geschichte....soon.


Der Abend hat mir wieder ein wenig das Gefühl von Köln gegeben. Eine tolle Runde jagt die Nächste. Jeder gibt sich Bier aus. Jeder will den anderen Kennenlernen. Man ist ehrlich, feiert zusammen und hilft sich wenn man kann. Kölschkultur eben und das nicht nur wegen den Kölnern. Übrigens sehe ich dann am nächsten Tag noch ein Textilgeschäft mit folgendem Emblem.

Das kann kein Zufall sein.

Wäre ich im Hotel geblieben würde ich Irkutsk wahrscheinlich in sehr schlechter Erinnerung behalten. Irkutsk und gerade der Baikal werden mich jedoch nicht enttäuschen. Aber eben nicht wegen Irkutsk. Sondern wieder einmal wegen den besonderen Menschen die ich hier treffe. ...manchmal brauchen die Dinge nur etwas Anlauf.

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